Dmitri D. Schostakowitsch (1906–1975): Sinfonie Nr. 7 in C-Dur op. 60 «Leningrader»
Am 30. August 1941 kesselte die Wehrmacht Leningrad, Dmitri Schostakowitschs geliebte Heimatstadt, ein – eine der blutigsten Belagerungen der Geschichte begann und forderte in zweieinhalb Jahren das Leben von einer Million Bewohner. Die ersten beiden Sätze seiner Siebten Sinfonie stellte Schostakowitsch noch in der unter Beschuss stehenden Stadt fertig, danach wurde er mit seiner Familie evakuiert. Schon während der Entstehung stiess das Werk auf ein grosses mediales Interesse: In den Zeitungen kursierte ein Bild des Komponisten in Feuerwehrmontur, in der «Prawda» gab er sich zuversichtlich: «Ich widme meine Siebente Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt.»
Dass es dazu kam, ist nicht selbstverständlich. Nachdem Stalin 1936 eine Aufführung von Schostakowitschs Oper «Lady Macbeth von Mzensk» empört verlassen hatte, musste der Komponist wie zahlreiche andere Künstler in seinem Umfeld, die sich dem Diktat des «Sowjetischen Realismus» nicht beugen wollten, um sein Leben bangen. Mit der zumindest an der Oberfläche parteikonformen fünften Sinfonie konnte sich der Komponist 1937 jedoch rehabilitieren, stand aber fortan stets unter besonderer Beobachtung der Partei.
Zunächst plante Schostakowitsch, seine Siebente Sinfonie einsätzig anzulegen. Doch er entschied sich dann doch für die klassischen vier Sätze. Die zunächst vorgesehenen Überschriften (1. «Krieg», 2. «Erinnerung», 3. «Die Weite der Heimat», 4. «Sieg») zog Schostakowitsch zurück. Obwohl die Exposition des eröffnenden Sonatensatzes – so der Komponist in einem Programmtext des Entstehungsjahres – das «glückliche Leben der Leute» darstelle, weist sie durchaus bereits düstere Züge auf. An deren Ende erklingt dann wie aus der Ferne Trommelwirbel, über dem sich ein plakativ simples Thema während ganzen elf sich stetig steigernden Wiederholungen immer mehr in den Vordergrund drängt und mächtiger wird. «So jedenfalls klingt in meinen Ohren Krieg», soll Schostakowitsch einem Freund mitgeteilt haben. Während er sich den Parallelen zu Maurice Ravels «Bolero» bewusst war, hörten aufmerksame Zuhörer auch Anklänge an das «Gewaltthema» aus «Lady Macbeth», an ein Stück aus Franz Lehárs «Lustiger Witwe» – eines von Hitlers Lieblingswerken – oder an Sinfoniepassagen von Sibelius oder Nielsen. Zurück bleibt ein Trümmerfeld – auch musikalisch: Die Themen der Exposition kehren in Bruchstücke zerlegt und mit Marschfragmenten durchmischt zurück. Die auf diese Weise völlig umgestaltete Reprise, die Züge eines Trauermarsches annimmt, dient (so Schostakowitsch) als Requiem für die Gefallenen.
Der zweite Satz, ein mit «Moderato» überschriebenes lyrisches Scherzo, schlägt melancholische Töne an und soll nach Schostakowitschs Programm in glückliche Zeiten zurückhorchen. Auch hier ist jedoch trotz Tanz-Anklängen Skepsis angesagt: Durch Motive ist der Satz mit dem kriegerischen ersten verknüpft, und das brachiale Trio erinnert an die grotesken Ländler aus Gustav Mahlers Sinfonik – eine ungetrübte Idylle klingt anders.
Der dritte Satz, von Schostakowitsch als «pathetisches Adagio» bezeichnet, stellt zuerst streicher- und orgelartig wirkende Bläserpassagen einander gegenüber, die von einem aufgewühlten marschartigen Mittelteil mit grotesken Zügen abgelöst werden. Das Adagio leitet direkt ins Finale über, das mit einer verzerrten Version des «Requiem-Themas» aus dem ersten Satz beginnt. Erst gegen Ende des Werks verdrängt ein wenig triumphales C-Dur das vorherrschende c-Moll. Das Hauptthema des ersten Satzes beschliesst die Sinfonie, nun in H-Dur – ein Schluss, den schon Schostakowitschs Freunde als eher halbherziges Zugeständnis an den staatlich verordneten Optimismus verstanden.
Mit diesem Werk machte sich Schostakowitsch zu einem nationalen Helden. Die Uraufführung, die am 5. März 1942 stattfand, wurde in die gesamte Sowjetunion ausgestrahlt. Bereits am 19. Juli dirigierte Arturo Toscanini das Werk aus Solidarität mit dem Kriegsverbündeten in New York, und das «Time Magazine» setzte ein Bildnis Schostakowitschs auf ein Titelblatt. In der Saison 1942/43 erklang die Sinfonie allein in den USA 62-mal. Am 9. August wurde sie in Leningrad zum ersten Mal aus der auf Mikrofilm eingeflogenen Partitur von einem dezimierten Orchester aufgeführt. Die umstrittenen Memoiren Schostakowitschs, die sein Freund Salomon Wolkow nach dessen Tod herausgegeben (manche sagen: «erfunden») hat, stellt eine andere Deutung der Sinfonie ins Zentrum: Mit ihr habe der Komponist in erster Linie Stalins Terror angeprangert, da dieser das alte Leningrad durch den von ihm angeordneten Terror bereits vor der deutschen Invasion vernichtet habe.